Wenn der Hund das erste Mal einen epileptischen Anfall erleidet, ist dies eine erschreckende Erfahrung für alle Familienmitglieder. Erster Ansprechpartner ist dann der vertraute Tierarzt, der zunächst mit einer neurologischen Untersuchung sowie einer labordiagnostischen Kontrolle des Blutes versucht, mögliche Ursachen für den Anfall festzustellen.
Die Ursachen für epileptische Anfälle sind vielfältig. Neben Stoffwechselstörungen, Vergiftungen und entzündlich-infektiösen Veränderungen können auch Schädelverletzungen, Missbildungen sowie Tumore und Alterungsprozesse für die Krämpfe verantwortlich sein. Leider ist trotz aufwendiger und kostenintensiver Untersuchungen häufig keine Ursache zu finden. Man spricht dann von einer idiopathischen Epilepsie. In den meisten Fällen bedeutet dann die Behandlung des epileptischen Patienten eine lebenslange Verpflichtung des Tierbesitzers gegenüber seinem Hund.
Die Epilepsie ist durch wiederkehrende Anfälle gekennzeichnet und die häufigste chronische neurologische Funktionsstörung des Hundes. Sie manifestiert sich aufgrund abnormer elektrischer Aktivität des Großhirns.
Das Krankheitsbild der Epilepsie ist außerordentlich komplex und zeigt vielfältige Erscheinungsbilder. Kaum merkliche geringgradige Verhaltensänderungen, leichte Zuckungen einzelner Muskelgruppen, geweitete Pupillen und Speichelfluss bleiben zu Beginn häufig unbemerkt oder können nicht zugeordnet werden. Bei ausgeprägten Anfällen sind die Tiere bewusstlos, fallen in Seitenlage und zeigen stark rudernde Bewegungen der Gliedmaßen und unkontrollierte Bewegungen von Kopf und Kaumuskulatur sowie zum Teil auch einen Verlust der Kontrolle von Harn- und Kotabsatz.
Die epileptischen Anfälle sind in der Regel kurz (< 2 – 5 Minuten), können aber wiederholt auftreten. In schweren Fällen treten zwei oder mehr Anfälle innerhalb von 24 Stunden auf (Cluster-Anfälle) oder zeigen eine lebensbedrohliche Dauer von mehr als fünf Minuten (Status epilepticus). Unbehandelt ist bei vielen Hunden eine Zunahme der Anzahl der Anfälle sowie deren Intensität zu beobachten.
Bei einem einmaligen Anfall oder isolierten Anfällen in zeitlich langen Abständen besteht noch nicht zwingend ein Grund für eine medikamentöse Langzeitbehandlung. Treten Anfälle jedoch wiederholt und in kürzeren Abständen auf, ist nach gesicherter Diagnose eine konsequente Therapie anzuraten. In solchen Fällen sind die besten Resultate beim Langzeitmanagement der Epilepsie zu erzielen, wenn möglichst früh mit dem Einsatz von Antiepileptika begonnen wird.
Experten empfehlen eine Langzeittherapie unter den folgenden Umständen zu beginnen1:
Leider lässt sich auch bei Ausschöpfung aller möglichen Therapiemaßnahmen nicht immer das Idealziel, eine Anfallsfreiheit bei hoher Lebensqualität des Hundes, erreichen. Bei ausgeprägter Epilepsie kann jedoch schon eine Verringerung von Anfallsfrequenz, Anfallsdauer oder Anfallsschwere eine erhebliche Verbesserung der Situation für Hund und Tierhalter bedeuten.
Nach aktuellem Konsens können die Ziele für eine adäquate Anfallskontrolle wie folgt definiert werden.1
Antiepileptika heilen die Epilepsie nicht, sie vermögen aber das Auftreten von epileptischen Anfällen zu verhindern bzw. ihre Häufigkeit, Schwere und Dauer zu mindern. Das Bestreben einer medikamentösen Langzeittherapie bei Epilepsie ist die Beeinflussung der Erregbarkeit des Gehirns, mit einer Erhöhung der Reizschwelle, die überwunden werden muss, um einen Anfall auszulösen.
Für die Therapie der Epilepsie stehen verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung. Der Tierarzt wählt das geeignete Arzneimittel nach Abwägung verschiedener Faktoren aus. Hierbei werden die individuellen Merkmale der Erkrankung wie Anfallstyp, Häufigkeit, Schwere und Ursache der Anfälle und eventuelle Vorerkrankungen berücksichtigt.
Daneben wird der Therapieerfolg aber auch durch die Verträglichkeit bestimmt. Mögliche unerwünschte Wirkungen der in Frage kommenden Wirkstoffe können unterschiedlich stark ausgeprägt auftreten. Sie hängen sowohl vom Einzeltier, als auch von der notwendigen Dosis für die Erzielung einer Anfallskontrolle ab.
In vielen Fällen bringt die Monotherapie, d. h. mit nur einem Wirkstoff, schon eine gute Kontrolle der Anfälle. Im Rahmen der „Einstellung“ des Epilepsie-Patienten wird durch Dosisanpassungen, die optimale individuelle Dosis für den Hund ermittelt. Teilweise ist jedoch nur durch die Kombination von Wirkstoffen eine bestmögliche Anfallskontrolle bei vertretbaren Nebenwirkungen gegeben. Neben der Anwendung von Arzneimitteln, die speziell für Hunde zugelassen sind, kommen in Einzelfällen auch für Menschen gebräuchliche Arzneimittel, meist als Zusatztherapie, zum Einsatz.
Der Einsatz von Phenobarbital zur Kontrolle der Epilepsie hat sich seit Jahrzehnten bewährt.1,2 Mit einer Phenobarbital-Monotherapie können etwa zwei Drittel aller epileptischen Hunde kontrolliert werden.2 Bei unzureichender Wirkung besteht die Möglichkeit der Kombination mit anderen Antiepileptika (bspw. Kaliumbromid).
Wichtig ist zu Beginn die korrekte Einstellung des Patienten auf das Antiepileptikum. Neben der emotionalen Belastung mit der Diagnose Epilepsie beim geliebten Haustier, wird der Tierhalter am Anfang der Behandlung einer weiteren Prüfung unterzogen. In den ersten Wochen neigen Hunde dazu, sehr müde zu sein, zeigen vereinzelt Schwierigkeiten beim Laufen und fallen durch gesteigerten Durst und Hunger auf. Dazu kommen, trotz Behandlung, mögliche weitere epileptische Anfälle. Aus Sicht der Tierhalter ist es verständlich, dass sie die Behandlung am liebsten sofort wieder abbrechen möchten.
Eine Beurteilung der Wirksamkeit der gewählten Phenobarbital-Dosis ist jedoch erst nach etwa 14 Tagen möglich. Erst dann hat sich im Blut des Patienten ein konstanter Phenobarbital-Spiegel eingestellt. Der Tierarzt überprüft mittels einer Blutuntersuchung die Konzentration von Phenobarbital im Blut des Hundes. Dies ist notwendig, da die Wirkstoffkonzentration von Hund zu Hund individuell unterschiedlich sein kann, auch wenn die gleiche Tablettenmenge verabreicht wurde.
Zeigt der Hund weiterhin Anfälle, ordnet der Tierarzt eine Dosisanpassung an und überprüft wiederum nach etwa zwei bis drei Wochen die Serumspiegel von Phenobarbital. Ergibt die Blutuntersuchung, dass die alleinige Gabe von Phenobarbital, auch nach Dosisanpassungen, keine ausreichende Anfallskontrolle ermöglicht, wird versucht, durch die Kombination mit einem zusätzlichen Antiepileptikum eine bessere Wirkung zu erzielen.
Die gute Nachricht ist: Drei bis vier Wochen nach Beginn der Therapie mit Phenobarbital findet in den meisten Fällen eine Gewöhnung an den Wirkstoff statt. Anfangs mögliche unerwünschte Wirkungen des Arzneimittels werden weniger und verschwinden häufig ganz.
Dieses „Tal der Tränen“ müssen die Tierhalter durchschreiten, auch wenn es schwerfällt.
Die Gabe von Phenobarbital erfolgt zweimal täglich, immer zur gleichen Zeit. Dosisanpassungen sollten nur nach Rücksprache mit dem behandelnden Tierarzt erfolgen. Auch wenn der Hund schon langfristig keine Anfälle mehr gezeigt hat, ist ein abruptes Absetzen von Phenobarbital dringend zu unterlassen. Es besteht das Risiko, dass schwerwiegende Anfälle auftreten, die häufig nicht mehr durch eine erneute Tablettengabe kontrolliert werden können.
>>> Jetzt Epilepsie Pass herunterladen: Epilepsie Pass <<<
Referenzen:
1Sofie F M Bhatti, Luisa De Risio, Karen Muñana, Jacques Pendens, Veronika M. Stein, Andrea Tipold, Mette Berendt, Robyn G. Farquhar, Andrea Fischer, Sam Long, Wolfgang Löscher, Paul J J Mandigers, Kaspar Matiasek, Akos Pakozdy, Edward E. Patterson, Simon Platt, Michael Podell, Heidrun Potschka, Clare Rusbridge, Holger A. Volk(2016). Epilepsie aktuell – Zusammenfassung der IVETF-Empfehlungen zum “Therapeutischen Management der kaninen Epilepsie in Europa”, Kleintierpraxis 61 (10). 529-544
2Holger A. Volk, Shenja Loderstedt (2011). Neuigkeiten in der Behandlung von Epilepsie bei Hund und Katze, Kleintierpraxis 56: 649-664
Wenn ein Hund an Epilepsie leidet, ist dies meist eine lebenslange Verpflichtung und erfordert viel Durchhaltevermögen, Verständnis für die Therapie und eine penible Einhaltung der Behandlung. Aber die Diagnose Epilepsie bedeutet nicht das Ende – denn ein Hund kann, wenn er gut auf seine Medikamente eingestellt ist, sehr gut damit leben.